3. Projektbindungen

weniger ist mehr 

Wie Stiftungen flexibel fördern können

Die allermeisten Stiftungen im deutschsprachigen Raum fördern vornehmlich projektbezogen. Laut dem Schweizer „Grantee Review Report“ gilt das für über 95 Prozent aller Förderungen. Für ein klar definiertes Vorhaben werden in einem festgelegten Zeitraum Mittel zur Verfügung gestellt, die nur für diesen Zweck verwendet werden dürfen. Das macht Organisationen unflexibel und kann dazu führen, dass sie ihre eigentlichen Ziele aus den Augen verlieren, weil ständig neue, innovative „Projekte“ lanciert werden müssen, um die Organisation am Leben zu erhalten. Zudem führen die Antrags- und Berichtspflichten, die mit einer Projektförderung verbunden sind, zu einem immensen Aufwand.


Demgegenüber steht ein zunehmend diskutiertes Fördermodell, bei dem Organisationen ungebundene Mittel erhalten, über die sie frei verfügen können. So hat die amerikanische Philanthropin MacKenzie Scott mit ihrer Initiative Yield Giving seit 2019 über 14 Milliarden US-Dollar an Hunderte von NGOs in den USA gespendet – ohne Anträge, ohne Auflagen und zur freien Verwendung, weil, wie sie sagt, die NGOs die wahren Expert*innen sind, die am besten wissen, wo die Mittel gebraucht werden.  


Zwischen einem „Unrestricted Funding“ dieser Art und einer starren Projektbindung auf der anderen Seite gibt es ein großes Kontinuum an Möglichkeiten, wie Förderbeziehungen gestaltet werden können. Stiftungen haben die Möglichkeit, flexibel zu agieren und die passende Form der Förderung zu finden; im Idealfall in Absprache mit dem Förderpartner. Manche Organisationen profitieren von einer engeren Begleitung, in anderen Fällen ist das Vertrauen in eine ungebundene Förderung ein Lernprozess für alle Beteiligten. Stiftungen machen dabei die Erfahrung, dass dies nicht zulasten der Wirksamkeit geht – oftmals im Gegenteil, weil die Kapazitäten der geförderten Organisation in das wandern, was wirklich notwendig ist. Stiftungen und Stiftungsmitarbeitende verändern dabei ihr Selbstverständnis: Sie werden zu Ermöglicher*innen und Unterstützer*innen derjenigen, die für das gemeinsame Ziel arbeiten.


  • Was sollten Stiftungen beachten, wenn sie über Zweck- oder Projektbindungen nachdenken?

    So viel Kontrolle wie nötig, so viel Freiheit wie möglich 

    Viele Stiftungen haben den Impuls, den Förderpartnern möglichst enge Vorgaben zu machen und Förderungen grundsätzlich auf Projekte zu beziehen. Projektbindungen mögen in Einzelfällen gerechtfertigt sein, aber oft sind sie eher hinderlich und erzeugen unnötige Bürokratie. 

    • Stiftungen sollten bei jeder Förderung abwägen, wie viele Auflagen wirklich nötig sind, um die Interessen der Stiftung zu wahren. Sofern keine stichhaltigen Gründe für strikte Vorgaben sprechen, sollten Förderungen so flexibel wie möglich vereinbart werden. 
    • Zweck- oder Projektbindungen können durchaus ihre Berechtigung haben, zum Beispiel wenn eine Stiftung nur in einer bestimmten Stadt tätig ist und dort eine Organisation fördert, die auch überregional aktiv ist. Auch wenn Stiftungen nur einzelne Aktivitäten von besonders großen Organisationen unterstützen möchten, kann es Sinn machen, sich gemeinsam auf eine Projektbindung zu verständigen. In diesen Fällen hilft eine flexible und zeitgemäße Zweck- oder Projektbindung, um erfolgreich und mit weniger Aufwand zu arbeiten.
    • Bei Förderungen an kleinere Organisationen, die ohnehin nur eine oder zwei Kernaktivitäten haben, sollten Stiftungen nach Möglichkeit ganz auf Zweck- oder Projektbindungen verzichten. 

    Projekte gut auswählen

    Das A und O der Förderung ist eine gründliche Prüfung der Partner und ihrer Projekte. 

    • Stiftungen investieren oft viele Stunden in die Prüfung von Projektanträgen – sollte man dann nicht den Ergebnissen der eigenen Recherchen vertrauen und den Partnern bei der Umsetzung entsprechende Freiheiten lassen? 
    • Eine gründliche wie angemessene Prüfung zu Beginn einer Förderung ist vertrauensbildend für beide Seiten. Fördernde bekommen Sicherheit, dass ihr Geld gut eingesetzt ist, und es fällt ihnen in der Folge leichter, Geförderten zu vertrauen und auf umfassende Kontrollmechanismen zu verzichten. Geförderte trauen sich wiederum eher, ihre Bedarfe anzusprechen.

    Am Bedarf orientieren 

    Stiftungen legen zu Recht Wert darauf, ihre Förderungen am gesellschaftlichen Bedarf auszurichten. Ebenso wichtig ist es jedoch, auch die Bedürfnisse der Partnerorganisationen zu berücksichtigen, damit diese gut und effizient arbeiten können. 

    • Ist die Förderung eines Projekts das, was eine Organisation gerade am meisten voranbringt? Vielleicht hilft die Einstellung einer Person für das Fundraising oder eine Weiterbildung mehr, als ein neues Projekt aufzuziehen. Suchen Sie das direkte Gespräch und erkennen Sie Ehrlichkeit durch Förderung an – das schafft Vertrauen.
    • Nur stabil aufgestellte Organisationen können erfolgreich arbeiten. Fördern Sie also nicht (nur) Projekte, sondern auch die Organisation – teilweise oder ganz. Angemessene Verwaltungskosten sind übrigens ein Zeichen für seriös arbeitende Non-Profits. Eine Pauschale für den Overhead sollte demnach selbstverständlich sein. 

    Längere Laufzeiten planen

    • Fördern Sie auch nur die klassischen drei Jahre? Aber warum sollten erfolgreiche Projekte, die langfristig wirken, nur kurzzeitig gefördert werden? Längere oder wiederholte Förderungen ermöglichen Organisationen bessere Planbarkeit und reduzieren die Förderakquise. So bleibt mehr Zeit zu wirken.

    Projekte flexibel fördern

    Es gibt immer wieder gute Gründe, warum Stiftungen Förderungen projektgebunden vergeben. Auch in diesen Fällen können Stiftungen ganz einfach dazu beitragen, unnötigen Aufwand zu vermeiden. 

    • Sofern es nicht durch die Stiftungssatzung vorgegeben ist, sollten Stiftungen unbedingt darauf verzichten, nur einzelne Budgetlinien oder nur bestimmte Kostenarten (bspw. „nur Sachkosten“) zu übernehmen. Wenn projektbezogen gefördert wird, dann sollte die Förderung ohne weitere Auflagen in das Projektbudget einfließen. 
    • Kluge Organisationen justieren ihre Projekte unentwegt – entweder, weil sie dazulernen und ihre Arbeit besser machen, oder weil sich das Umfeld ändert. Wenn Sie als Stiftung projektgebunden fördern, sollten Sie daher einen flexiblen Rahmen für Umwidmungen schaffen, Zielanpassungen im Projektverlauf ermöglichen und in Krisenzeiten proaktiv weitere Unterstützung anbieten.

  • Beispiele aus der Stiftungspraxis

    Sie kennen noch weitere Beispiele dafür, wie Stiftungen flexibel fördern? Dann lassen Sie es uns gerne wissen, damit wir die Sammlung ergänzen können: hallo@weniger-ist-mehr.org.


    Mittel zum unabhängigen Lernen

    • Die Robert Bosch Stiftung stellt Ressourcen für Ideenentwicklungsprozesse zur Verfügung, ohne dass damit schon ein konkretes Projekt verbunden ist: Die Entwicklung kann in ein Projekt münden, kann aber auch verworfen werden. Ziel ist, dass Organisationen Freiraum bekommen, um auf Lösungspotenziale zu stoßen, die über eine klassische Projektförderung nicht zum Vorschein kommen. 
    • Die The Light Foundation lässt Partner entscheiden, was zu fördern ist. Erst danach werden die Ziele definiert. 

    Führen über Zielvereinbarungen 

    • Die Liselotte Stiftung vergibt mehrjährige ungebundene Förderungen. Weil ungebunden nicht unverbindlich heißt, trifft die Stiftung mit den Partnern Zielvereinbarungen auf der Organisations- bzw. Programmebene, die dann Grundlage der Berichte sind. 
    • Die Arcanum Stiftung geht seit 2021 dazu über, ihre Partnerorganisationen in Freiburg/Schweiz mit ungebundenen Förderungen zu unterstützen. Da es sich um mittelgrosse Beiträge handelt, hofft die Stiftung, damit die Wirkung erhöhen zu können, weil die Partner weniger Aufwand und mehr Flexibilität haben. Die Stiftung vereinbart mit den Partnern Ziele, die regelmässig besprochen und bei Bedarf angepasst werden. 

    Mittel für strukturelle Wirkziele

    • Die Unternehmerstiftung für Chancengerechtigkeit fördert Partner mindestens fünf Jahre mit ungebundenen Mitteln. Im Mittelpunkt stehen gemeinsam definierte strukturelle Wirkziele in den Bereichen Bildung, Teilhabe und Gesundheit. Anstelle von Kennzahlen werden einmal im Quartal in strukturierten Gesprächen Gelerntes und neue Bedarfe besprochen. 
    • Die NORDMETALL-Stiftung vergibt institutionelle Förderungen an Organisationen, die gemeinsame Ziele verfolgen (z. B. Jugendprojekte bei Musikfestivals oder Initiativen, die mit Ehrenamtlichen arbeiten). 
    • Die Max Kohler Stiftung ist davon überzeugt, dass Kulturinstitutionen Kinder und Jugendliche nachhaltig für die Künste begeistern können, wenn Vermittlung als Haltung in der gesamten Organisation gelebt und von der Leitung als integraler Bestandteil der Arbeit verstanden wird. Die Stiftung vergibt daher ungebundene Förderungen an Kulturinstitutionen, die diesen Weg auf vorbildliche Weise gehen oder gehen möchten.
    • Die Azurit Foundation fördert insbesondere junge afrikanische Organisationen. In der Anfangsphase ist Flexibilität wichtig und ungebundene Fördermittel stehen Organisationen im Globalen Süden noch seltener zur Verfügung als in Deutschland. Nach einer sehr ausgiebigen Prüfung werden Fördermittel daher so flexibel zur Verfügung gestellt, wie es die rechtlichen Vorgaben ermöglichen. In der Regel wird sogar auf eine Antragstellung und Zielvereinbarungen verzichtet. 
    • Die Hans Weisser Stiftung fördert Initiativen, die ein Problem lösen oder Bekanntes besser machen. Oft nutzt die Stiftung eine zeitlich begrenzte Startförderung zum gegenseitigen Kennenlernen, bevor die Unterstützung in eine längerfristige Strukturförderung überführt wird. Es gibt jedoch kein Standardmodell der Förderung – die Wahl der passenden Form orientiert sich jeweils an der Frage, wie die Idee am besten zum Tragen gebracht werden kann und was die jeweilige Initiative wirklich braucht.

    Mittel für Organisationsentwicklung

    • „Welches ist Ihr nächster Entwicklungsschritt als Organisation?“ Mit dieser Frage steigt die Olin gGmbH mit Förderpartnern ins Gespräch ein und vereinbart, welcher Bereich der Organisation gestärkt wird. In jährlichen Treffen besprechen die Partner, ob die Maßnahme Erfolg hat, und ändern sie, wenn es nötig ist. Ziel ist es, die Wirksamkeit der Organisation zu verbessern. 
    • Weitere Hinweise und Beispiele, wie man die Partnerorganisationen ganzheitlich stärken kann, finden Sie in Kapitel 5 „Fördern mit mehr als Geld

  • Rechtliche Mindestanforderungen

    Rechtliche Mindestanforderungen / Deutschland

    Gemeinnütigkeitsrechtlich dürfen Stiftungen ihre Mittel anderen Organisationen zuwenden, solange diese steuerbegünstigt sind. Dabei muss der Zweck der anderen Organisation weder ganz noch teilweise mit dem eigenen Stiftungszweck identisch sein. Diese Regelung erleichtert zweckungebundene Förderungen enorm, weil die Stiftung nicht mehr sicherstellen muss, dass ihre Mittel für einen bestimmten Zweck verwendet werden. 


    Zivilrechtlich sind die Organe rechtsfähiger Stiftungen an die Satzung gebunden, insbesondere an den Stiftungszweck. Darüber hinaus kann die Satzung aber auch verbindliche Regelungen zur Art der Zweckerfüllung enthalten, etwa indem sie ausdrücklich nur Projekt- oder Anschubfinanzierungen zulässt. Soweit die Satzung keine Details regelt, ist es Aufgabe der Gremien, zu entscheiden, welche Art der Zweckverwirklichung dem Stifterwillen am besten entspricht. Dabei haben sie ein weites Ermessen, das von der „Business Judgement Rule“ gedeckt ist. 


    Rechtliche Mindestanforderungen / Schweiz 

    Gegenüber welchen Destinatären, in welcher Art und Weise sowie in welchem Umfang die Stiftung Leistungen erbringt, ergibt sich aus den Vorgaben in der Stiftungsurkunde oder in den Reglementen. Bei steuerbefreiten Stiftungen müssen überdies die die Fördertätigkeit betreffenden Voraussetzungen (Allgemeininteresse, Uneigennützigkeit) des Kreisschreibens Nr. 12 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 1994 beachtet werden. 

    Innerhalb dieser Vorgaben steht es im Ermessen der Stiftungsrät*innen, die passende Form der Förderung zu wählen. 


    Laut Swiss Foundation Code (SFC) können das projektgebundene oder institutionelle Förderungen à fonds perdu sein oder sogar investive Finanzleistungen wie „(zinslose) Darlehen oder der Erwerb von Anteilen am Eigenkapital des Destinatärs“, also Formen, die per se nicht an bestimmte Projekte oder Aktivitäten gebunden sind. (SFC, Empfehlung 16)


    NB: Der „Swiss Foundation Code“ formuliert Good-Governance-Richtlinien für Stiftungen. Er spricht Empfehlungen, aber keine zwingenden Bestimmungen aus.


    Rechtliche Mindestanforderungen / Liechtenstein

    Auch für Liechtenstein gilt: Massgeblich sind allein die Stiftungsdokumente (Statut, Reglemente, allfällige Beistatuten). Solange diese keine Vorgaben enthalten, ist die Stiftung frei darin, im Rahmen der zweckentsprechenden Mittelverwendung auch projektungebunden, also institutionell, zu fördern.


  • Mustertexte und Vorlagen

    Bei einer nicht-projektgebundenen Förderung  herrscht oft Unsicherheit, welche Richtlinien für die Mittelverwendung gelten. Die XXX Stiftung hat dazu einen Leitfaden entwickelt, den sie den Förderpartnern zur Verfügung stellt. 

  • Ansprechpartner:innen

    Die folgenden Personen aus dem Autor:innen-Team stehen Ihnen gerne für Rückfragen und weitere Auskünfte zum Thema "wie können Stiftungen flexibler fördern" zur Verfügung, insbesondere zu den Beispielen der betreffenden Stiftungen:  


  • Webtalks #ImpulseStiften zum Thema Projektbindungen

    Projektförderung – Ursprung allen Übels in der Stiftungswelt?“ war die Leitfrage des Webtalks #ImpulseStiften am 22.6.2021. Hören Sie gerne rein! 


    Im Webtalk #ImpulseStiften ging es am 30.11.2021 um das Thema „Partner stärken: Kernfinanzierung & Capacity Building“. Zwei Stiftungen stellen vor, wie sie diese Strategie in der Praxis umsetzen. 


    Hören Sie gerne rein!



  • Literatur

    Im Webtalk #ImpulseStiften zum Thema „Projektförderung – Ursprung allen Übels in der Stiftungswelt?“ wurden zwei Präsentationen vorgestellt, die das Für und Wider der Projektbindung aufgreifen: 


    Die amerikanische Organisatin GEO ("Grantmakers for Effective Organizations") hat im Mai 2022 einen Leitfaden zu flexiblen, langfristigen Förderungen veröffentlicht


    Das Center for Effective Philanthropy (CEP) hat in 2022 eine erste Auswertung zu den "unrestricted grants" von MacKenzee Scott veröffentlicht: 


    Das Institute for Voluntary Action Research (IVAR) aus Großbritannien hat 2023 die Argumente für "unrestricted funding" zusammmengetragen: 

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